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Horst Rave: Leben

Kurzportrait

Obwohl seine Eltern kein Verständnis für die künstlerischen Neigungen ihres Sohnes zeigten, ließ sich der junge Horst Rave (1941–2009) nicht von seinem Weg abbringen. Ein Jahr nach dem Abitur 1963 zog er zu seiner großen Liebe, der 28 Jahre älteren, verwitweten Kunsterzieherin Margarete Loviscach. Sie waren ein unzertrennliches Paar, das auch gemeinsam Kunst schuf. 1965 bis 1969 studierte Rave Malerei und Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste Kassel.

Rave (Rufname „Rav“) war sehr hilfsbereit und für alles offen. Er mischte sich jedoch nie in die Angelegenheiten anderer ein oder kommentierte gar ihren Lebensstil. Seiner Meinung nach sollte jeder sein Leben leben, und die Dinge sollten sich möglichst aus sich heraus entwickeln.

Während Rave allgemein als eher ernsthafter Typ wahrgenommen wurde und zurückgezogen lebte, beschreiben ihn diejenigen, die ihm nahe standen, als Mensch, der viel lachte und bereitwillig sein Wissen weitergab. Joachim Heusinger von Waldegg beispielsweise als „humorvoll befreit und sogar schalkhaft übermütig“2. Rave pflegte mit Hingabe wenige, aber tiefe Freundschaften und brachte bei Einladungen immer ein persönliches Gastgeschenk mit, das zum Gastgeber passte. Entsprechende Unterstützung erhielt er von den Menschen, die ihm nahestanden: Dazu zählten neben seinen Freunden vor allem seine Partnerin Margarete. Sie ermunterte ihn unermüdlich dazu, seine Ziele zu verfolgen, und schenkte ihm Zeit, Raum und Ruhe dafür. So umfassend wie Raves künstlerisches Werk war sein kulturpolitisches Engagement. Er unterstützte Horst Pitzen, der 1982 die Gesellschaft für Kunst und Gestaltung e.V. (gkg) gründete. 20 Jahre lang setzte sich Rave geschäftsführend dafür ein, „auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene Aktivitäten zur Thematik ‚Kunst und Gestaltung‘ unter besonderer Berücksichtigung konstruktiv-konkreter, rationaler Aspektezu entwickeln, durchzuführen und zu fördern“3. Er förderte die Computerkunst und stellte 1995 die Ausstellungsreihe digital-konkret auf die Beine. Auch in anderen Gruppen war er, meist in verantwortungsvollen Positionen, zu finden: Beispielsweise als erster Vorsitzender der Künstlergruppe Bonn (1983–1986), als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Mehr Kunst für Bonn (1986–1987), als Beirat für das neue Atelierhaus Bonn-Nord (1992) und als Vorstandsmitglied des Bonner Kunstvereins (2000–2006). Außerdem war er Gründungsmitglied der Künstlergruppe gruppe konkret. Die Stadt Bonn dankte es ihm 1985–86 mit einem Stipendium, 1991 mit ihrem Kunstpreis und im Jahr 2000 mit der August-Macke-Medaille für sein Lebenswerk.

Nach Margarete Loviscachs Tod im Jahr 1999 fand Rave langsam wieder ins künstlerische und gesellschaftliche Leben zurück. 2004 jedoch erkrankte er an Krebs, dem er fünf Jahre später erlag. In den letzten Monaten seines Lebens plante er die Horst Rave Stiftung und hinterließ ihr seine Werke und Teile seines Vermögens.


Kindheit

Der Physiker Dr. Walter Rave hatte drei Kinder – und das älteste war ein Sohn, aus dem ein gescheiter Mann werden sollte. Seine Vorstellungen von „gescheit“ enthielten den Wehrdienst bei der Bundeswehr, wegen der Disziplin, und ein Biologiestudium, wegen des sicheren Lehrberufes. Kunst sollte, wenn überhaupt, ein selten ausgeübtes Hobby sein.

Der junge Horst interpretierte den Wunsch des Vaters nach Disziplin auf seine Weise. Er verweigerte den Wehrdienst und ging von Anfang an unbeirrbar den steinigeren Weg des Künstlers. Seine Schwester Hannelore kannte ihn nicht anders: „Horst hatte schon als Kind einen Kittel voller Farbe an. Vielleicht weil die Eltern wollten, dass er die teure Kleidung schützt. Er hat nur für die Kunst gelebt, und das hat man schon sehr früh gemerkt. Außer über seine Kunst hat er nicht viel von sich preisgegeben. Für mich war er unnahbar, aber wir mochten uns, ohne viel geredet zu haben. Er war immer freundlich und ausgeglichen. Oft hat er mich in Schutz genommen und sich um mich gekümmert, weil ich sehr schüchtern war. Aber unternommen haben wir nie was.“

Das eigene Zimmer, das Horst Rave bis zu seinem 17. Lebensjahr in der Wohnung in München-Westend (Bergmannstraße) – vor dem Umzug nach Bonn im Jahr 1959 – bewohnte, sah aus wie ein kleines Atelier und war vollgestopft mit Kunstwerken. Wenn er von der Schule, dem Ruppert Gymnasium, zurückkehrte, arbeitete er dort mit Gipsmodellen, bemalte Holzplatten, zeichnete kleine, minutiöse Federzeichnungen, die wie Studien anmuten. Gelegentlich sezierte er, weil er sich nebenher für Biologie interessierte. Sein Taschengeld gab er für Malutensilien und Ölfarben aus.

Ab 1963 setzte er sich intensiver mit der Farbe auseinander. Er unternahm expressionistische, pointillistische, informelle Ausflüge, die hauptsächlich von Paul Klee geprägt waren. Aber von Anfang an galt sein größtes Interesse der nonfigurativen, gegenstandslosen Bildsprache.


Abitur und Margarete Loviscach

Das Bad Godesberger Heinrich Hertz Gymnasium (damals Nicolaus Cusanus) führte Horst Rave und seine zukünftige Partnerin zusammen. Als sie 1963 als Kunsterzieherin sein Abiturzeugnis unterschrieb, hatte er sich längst in sie verliebt. Der 28 Jahre älteren Witwe, deren drei Kinder genauso alt waren wie er, ging es genauso.

Margarete Loviscach (1913–1999), genannt „Moritz“, war mit dem Maler und Bauhaus-Schüler Max Loviscach verheiratet gewesen. 1933 bewies sie Haltung, als das nationalsozialistische Regime den Akademieprofessor Gustav Wiethüchter ausschloss: Sie brach ihr Studium an der Kunstgewerbeschule Wuppertal aus Protest ab und studierte stattdessen Kunstgeschichte an der Universität Bonn.

Nachdem sie in Wuppertal ausgebombt worden war, landete die Familie Loviscach über Umwege in Bonn Pützchen. Im Rheinland gab es 1956 noch englische Truppenkontingente, die den Verkehr auf der rechten Seite nicht gewohnt waren. Dieser Umstand sollte Max Loviscach zum Verhängnis werden: Nach einem Besuch der Düsseldorfer Kunsthalle trat er auf die Straße und wurde überfahren.

Verantwortlich für drei Kinder ließ sich Margarete Loviscach als Quereinsteigerin zur Lateinlehrerin und Kunsterzieherin ausbilden. Die Zeichen standen gut, denn in Nordrhein-Westfalen förderte der Staat unter Kultusminister Paul Mikat den Quereinstieg in den Lehrberuf. Sie, die selten über sich sprach, war beliebt bei ihren Schülern, und ist ihnen als einfühlsam und verständnisvoll in Erinnerung geblieben. Mit Bundesmitteln konnte sie 1957 ein Haus in der Combahnstraße 1 in Bonn-Beuel bauen – neben der Kennedybrücke, mit Blick auf auf die Oper und die Beethovenhalle.

Als Horst Raves Vater 1964 von einer dreiwöchigen beruflichen Reise aus den USA zurückkehrte, musste er feststellen, dass sein Sohn zu Margarete gezogen war. Nicht einmal die Mutter hatte Horsts subtiles Vorgehen bemerkt.

„Sie waren ein sagenhaftes Team“, sagt Jan Wagner über seine Großmutter Margarete und Horst Rave. Im Zusammenleben wurde das ungewöhnliche, und für die Zeit sicherlich auch provokative Band zwischen ihnen noch stärker. Sie unterstützen sich gegenseitig in allen Lebensbereichen. Vermutlich ist es ihrem Einfluss zu verdanken, dass Rave 1965 den Mut fand, ein Studium der Botanik und Sinologie an der Bonner Universität nach zwei Jahren abzubrechen und sich vollkommen seiner Kunst zu widmen.

Mit Beginn des Studiums Malerei und Grafikdesign (1965–1969), u. a. bei Arnold Bode, dem Gründer der documenta Kassel, arbeitete Rave systematischer und gelangte zu einer streng konstruktiven Haltung.


Zusammenleben in der Combahnstraße 1

Horst Rave stand immer als erster auf, im Morgengrauen. Er zog sich an: ein altes T-Shirt und Jeans, meist schwarz, darüber ein ursprünglich weißer Laborkittel. Im Winter kam noch ein verschlissener roter Wollpullover hinzu – denn das Haus war 7 schlecht zu beheizen. Mehrmals strickte seine Schwester Hannelore die Ärmel nach, damit der Pullover immer noch ein Jahr länger hielt. So betrat Rave täglich, ohne nennenswerte Ausnahme, sein Atelier – das alle spöttisch „Olymp“ nannten – und ging seiner Arbeit nach. Im Sommer konnte er mittags wegen der Hitze nicht malen. Dafür begann er jedoch um fünf Uhr morgens und malte, solange es noch Tageslicht gab. In der verbliebenen Zeit ging er spazieren und kümmerte sich um den Haushalt.

Der Olymp war ein eigenes Stockwerk im Dachgeschoss, geräumig und hell, mit hohen Decken, großen Fenstern und kleiner Dachterrasse mit Blick auf den Rhein. Paletten voller Farbschichten und Tische, auf denen Rave Farben mischte, umringten zwei große Staffeleien. Die Wände waren, wie bei einem imaginären Museum, lose nach Stilen und Zeiten zusammengestellt, mit Postkarten und Briefmarken tapeziert. Sie zeigten Rave die Spannweite an Möglichkeiten auf und inspirierten ihn zu Entwurfsskizzen, die er für seine komplexen Kompositionen nutzte.

Vom Olymp aus quollen ein strenger Terpentingeruch und die fertigen Kunstwerke in den Rest des Hauses. Raves Stiefenkel Lovis Wambach erinnert sich: „Über dem Bett der beiden hatten sie ein zweites Hochbett gebaut. Dort lag jedoch keine Matratze, sondern stand ein Schrank für Bilder. Wenn ich darunter lag, hatte ich immer Angst, dass alles zusammenbrechen könnte. Später bauten sie eine zweite Garage an, um dort Bilder zu lagern. Beide Balkone wurden zu Wintergärten umgebaut, um auch dort Bilder zu deponieren. Selbst die Hälfte des Wohnzimmers war belegt. Der einzig freie Raum war die Küche – und das wahrscheinlich nur, weil das für die Bilder schädlich ist.“ Die erste Begegnung zwischen Rave und Hans M. Schmidt, damaliger Sammlungsdirektor des Rheinischen Landesmuseums Bonn, stand damit unter einem guten Zeichen: Der Rhein hatte Hochwasser, weshalb Rave seine Depotbestände aus der Garage holen musste und Schmidt somit eine vielseitige private Ausstellung präsentieren konnte.

Horst Rave wollte, dass sich sein unkonventionelles Leben auch in der Einrichtung widerspiegelte und baute entsprechendes Mobiliar: Funktionale, glatte Möbel, wie beispielsweise Stühle mit hohen Lehnen, die er in ungewöhnlichen Farben anstrich. „Sie sahen aus wie Kunstwerke, aber man saß hart“, erinnert sich Wambach. Er habe „das Alte und Schnuckelige“ schön gefunden, aber Rave und Loviscach hätten es gehasst und jedes Mal gesagt, dass nur eitle Menschen die Schlösser nachahmen würden.

Rave war neugierig und geradezu süchtig nach Wissen. Dementsprechend war der zweite Lebensmittelpunkt das Bibliothekszimmer: Es war vollgestopft mit Kunstbänden, kunsttheoretischen Schriften und Weltliteratur. Auch mit Politik beschäftigten sich Rave und Loviscach eingehend, vor allem mit der Nazi-Zeit. Rave betraf es unmittelbar, hatte es sich doch durch Funde auf dem Speicher im Elternhaus herausgestellt, dass der Vater eine nationalsozialistische Vergangenheit hatte. Umso mehr distanzierte sich das Paar von jener Ideologie und interessierte sich stattdessen für den Kommunismus und die chinesische Kultur: Ihr Geschirr war chinesisch geprägt, Rave las chinesische Bücher, und ihren gemeinschaftlichen künstlerischen Auftritt nannten sie „Gruppe Panda“.8

Rave konnte sehr gut kochen, mit Vorliebe chinesisch und vegetarisch. Er und Loviscach gaben viel Geld für gesundes Essen aus, und auch das gemeinsame Abendessen war ihnen wichtig: Es gab immer sehr guten Käse, zwei Mal die Woche gingen sie zusammen über die Kennedybrücke auf den Bonner Markt. Dass Rave gerne ein Glas Wein trank und Pfeife rauchte, tolerierte Loviscach, aber es gefiel ihr nicht. Auf anderen Gebieten war Rave eher sparsam, auch mit Informationen über seine Verkäufe. Auf seine Schwester Hannelore habe er gewirkt, als seien fünf Mark für eine Mahlzeit beinahe zu viel gewesen: „Alle dachten, dass er am Existenzminimum lebt. Niemandem war bekannt, dass sich seine Bilder gut verkauften. Wenn ich ihn besucht habe, zahlte ich den Einkauf. Er übernahm zumindest meine Fahrtkosten.“ Sein Ziel sei es gewesen, eine Million zu sparen und dann von den Zinsen zu leben. Das schien in den Achtzigern und Neunzigern in greifbare Nähe zu rücken, später jedoch nicht mehr. In letzten Lebensjahren sei er dann großzügiger geworden.

Mit seiner älteren Partnerin teilte Rave, auch in sehr jungen Jahren, bedingungslos alle Schicksalsschläge. 1966 starb ihr Sohn Kaspar, Vater von Jan Wagner, in seinen Armen. Als sie Anfang 80-jährig an Parkinson erkrankte, pflegte er sie drei Jahre lang liebevoll, bis zu ihrem Tod im Jahr 1999. Nur zum Einkaufen verließ er damals das Haus und brach in der Zeit nahezu alle Kontakte zur Außenwelt ab.

Autorin: Anke Ernst, www.anke-ernst.net